Tiefer Zug

Jeder, der lang genug hier mitgelesen hat, kann mindestens zwei Laster nennen, die mit mir zu identifizieren sind.
Literatur schreiben. Und Sex.
Übrigens sind wir alle so aufgeklärt, dass wir das Laster nicht mehr als eine Art Vorstufe zur Sünde betrachten.
Dennoch gerät derjenige unter gesellschaftlich erhöhte Aufmerksamkeit, der etwas mit Fantasie, Kreativität, Leidenschaft, in hoher Frequenz und geradezu selbstzerstörerischer Tendenz macht.
Literatur schreiben. Sex. Darf ich vorstellen? Das Rauchen!

Ja, das wird jetzt ein Blogeintrag über einen Raucher, ihr scheinheiligen Gutmenschen! Nachdem einem hier wie eine Pistolenkugel ins Auge springen kann, dass ich schreibe, Literatur schreibe, und als Dauerrammler unglücklich über das Singledasein geworden bin, muss jetzt auch noch das raus, was mich und andere schadet und einen nur Schimpf einbringt, weil jeder verkackte Nichtraucher meint, mich belehren zu dürfen und zu können – mich!

Großvater war Raucher.
Mein Vater raucht. Ganz wenig.
Ich hätte es fast geschafft, nie vom Nikotin abhängig zu werden. Nun rauche ich an manchen Tagen Kette. An kreativen Tagen. An hektischen. An Stresstagen.
Ich begann auf die Abendschule zu gehen. Da war ich 23. Ich musste leider eine gesundheitliche Pause machen. Als ich wiederkam, war ich das Superhirn, wog 25 kg mehr und war Raucher. Ich schrieb fast nur Einsen. Mit Lucky Strike zum Abitur.
Was war passiert? Ich trauerte. Ich trauerte meiner Freundin hinterher. Die große. Die einzige Liebe. Davon kam ich nicht los. Dabei war sie nur irgendeine verwöhnte Vorstadttussi, die sich zwar in mich verliebt hatte, aber bei den kleinsten Schwierigkeiten, die nicht in ihren Lebensplan passten, schon Schluss machte. „Wir können noch Freunde bleiben.“
Ich glaube, die meisten Männer haben so etwas erlebt. Und ich glaube, dies ist auch ein Baustein für ihre vielzitierte Emotionslosigkeit.
Das Abendgymnasium war ein guter Anfang, die Angelegenheit gründlich zu vergessen. Leider erfuhr ich, die Nachricht brachte der Wind in die Straßen, die Tauben funkten es weiter und die Spatzen zwitscherten es im Gebüsch, dass meine Ex einen Neuen hatte. Ich verfiel wieder ins Grübeln. Konnte ich so viel falsch gemacht haben?
Nach einer psychischen Dekompensation folgte die Leere, ein Fall zum tiefsten Grund meiner Selbst. Und der Wunsch das zu beenden. Mich zu beenden.
Ich spielte alle Arten von Selbsttötung durch, die ich kannte. Keine wollte ich aber probieren.
Da war es gut, dass meine Eltern mir eine Urlaubsfahrt spendierten. Wo ich schon dreimal war. Junge Leute vieler Nationen traf man da.
Am letzten Abend saß ich in einer kleinen Runde an Tischen in einem Zelt. Ich war fasziniert von einem jungen Franzosen, der ein Packung Zigaretten fleißig leer rauchte. Irgendwann bat ich ihn um eine Kippe.
Deshalb rauche ich. Und so bin ich dazu gekommen. Wenn Rauchen tödlich ist, dann käme es mir gelegen. Nein, es muss heißen: Rauchen ist tödlich, das kommt mir entgegen.
So, ihr Gutmenschen und Gesundheitsapostel, verurteilt mich. Stempelt mich ab!

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Ein Kommentar

Eingeordnet unter 2020

Eine Antwort zu “Tiefer Zug

  1. Yeah! Ich dreh mir jetzt gleich eine und rauche auf Dich :-)

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