Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie sich jemand an meinen Sachen zu schaffen macht. Ich scharf: „Lassen Sie das!“
Ich höre: „Das kann man auch freundlicher sagen.“
Mein Blutdruck steigt in einer zehntel Sekunde auf 250 km/h!
5 Minuten zuvor.
Samstagmorgen. Wochenendeinkauf. Easy und relaxt. Alles was ich brauche, bekomme ich und laut meines Taschenrechners habe ich sogar noch Geld für eine FFP2 Maske.
Im Korb für die Masken fehlt das Preisschild. Drüben hinter den Tiefkühltruhen arbeitet eine nette Angestellte. Ich komme mit jeder gut aus, sie sind alle nett. Ich halte ein Exemplar hoch und frage nach dem Preis. Und sie: „Das müsste dran stehen!“
„Nein, weg, geklaut!“ Dann entdecke ich die Preisangabe. Sie ist eigentlich mit einem Clip am Rand befestigt, hatte sich aber gelöst. „Ah! Da ist es. Ich stecke das wieder dran.“
„Danke!“ kommt es hinter den Tiefkühltruhen.
Eine Kasse auf. Vor mir Mutter mit kleinem Kind. Hat natürlich mehr einzukaufen als ich. Ich mit genügend Abstand und Geduld.
Hinter mir dann ein Riesenbaby. Also ein Teenager, schon einen Kopf größer als ich. Kann sich nicht vom Handy lösen und hat gerade mal so viel zu bezahlen, wie sie sich unter den Arm klemmen kann.
Ich sage ihr, dass sie doch vorgehen kann.
Überrascht bedankt sie sich. Dann wird sie auch noch von der Mutter vorgelassen. Und die Kassiererin und sie wundern sich, wie schnell es doch manchmal geht. Durch Höflichkeit.
Die Kasse macht auch eine nette Angestellte. Die Arme sind tätowiert und sie Duzt mich, was kein anderer macht.
Nun lege ich meine Waren auf das Band. Geordnet. Immer nur ein Teil hinter das andere. Auf diese Weise kann ich an dem Display für Kunden mitverfolgen, wieviel die Sachen kosten und schnell Widerspruch einlegen, falls notwendig. Ich bin der Meinung, dass auch die Kassiererin so die Sachen schnell über den Scanner ziehen kann. Und ich bin ganz fix, alles zack zack in den Einkaufwagen zu befördern noch bevor der Preis genannt wird.
Das war der Plan.
Obwohl ich diesen Warentrenner hinter meinen Einkauf positioniert habe, verschob an dieser Grenze jemand meine Sachen – und zuletzt lag auch noch die Maske – weil man der Meinung war, es wäre noch Platz für den Nächsten, man müsse nur nachhelfen.
GRENZVELETZTUNG!
Warum kann ich mich nicht darauf verlassen, dass man den Warentrenner und mich respektiert? Es passiert so oft.
Die freundliche Einkaufatmosphäre war dahin. Ich zischte: „Lassen Sie das!“ Und ich bekam einen Tunnelblick. Bis heute weiß ich nicht, wer sich da hinter mir befand. Ich habe nur ältere Hände gesehen und eine weibliche, belehrende Stimme.
„Das kann man auch freundlicher sagen!“
Warum denn??? Jemand latscht über meine Grenze, eben auch psychisch, und verursacht Stress, von der Gegenseite der Verstoß, der Fehler kommt nicht von mir. Die Ursache liegt beim anderen, und ich soll deswegen freundlich sein?
„Nein! Ich habe noch nicht gefrühstückt!“ Mein Körper verkrampft sich und beugt sich zum „Feind“.
Sie: „Sie können es ja versuchen.“
Warum soll mir ein schlechtes Gewissen gemacht werden für eine Sache, die ich nicht verursacht habe? Komm mir nicht pädagogisch! „Weg da mit Ihren Grabbelfingern!“
Endlich lässt die Person davon ab. Aber meint: „Wollen Sie wirklich deswegen streiten?“
Eine Lehrerin. Eindeutig.
Ich drehe mich wieder um. Erstaunlich. Ich bin voll ausgeflippt. Aber die ältere Frau habe ich nicht angeschaut.
Die Kassiererin guckt dafür umso verwundeter. Fängt aber an, meine Artikel zu scannen. Demonstrativ desinfiziere ich mir die Hände. Ich habe immer ein Fläschchen dabei.
Dann wieder alles normal. Zack, zack Waren in den Einkaufwagen. Ich frage noch nach Tabak. Bedanke mich für das Aufstehen und Holen. Werde gefragt: „Hast du eine Payback-Karte?“ Zahle und wünsche ein wunderschönes Wochenende.
„Auch so“
Am Packtisch lege ich in Ruhe zuerst die schweren Sachen in meinen mitgebrachten Baumwollbeutel. Dieser ist noch aus den 80er Jahren. Ein Kreis in Regenbogenfarben ist darauf gedruckt. Eine Schildkröte und ein Frosch darin. Und der Spruch: „Schützt unsere Umwelt!“ Aktuell wie eh und je.
Mein Einkauf hat mal wieder nur für einen Beutel gereicht. Im Regen nach Hause.
Das ganze Wochenende läuft mir der Fall hinterher.
Wieder mal habe ich überreagiert. Jetzt noch fühle ich meine Wut. Die einzige „Freundlichkeit“, die ich hätte dabei anbieten können, wäre zu erklären gewesen, warum ich meine Waren so auf das Band drapiere – wie bei Rudi Carrels Show „Am laufenden Band“ – aber das will niemand hören …
Und ein weiteres Gefühl gewinnt Oberhand. Ohnmacht. Kontrollverlust über einen selbst und natürlich anderen gegenüber, die sich unnötig in jemands Angelegenheiten mischen.
Ohnmacht radiert immer ein Stück Seele aus.
Ich kann das gut nachvollziehen. Es gibt eine Art innerer Ablauf, den wir uns gestalten. Und solange es nach unseren Vorstellungen abläuft, geht es uns gut. Aber wehe, irgendjemand pfuscht in unseren inneren Ablauf. Störung im System. Dann wirken wir auf andere, als ob wir überreagieren.
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Ich danke Dir sehr für Dein Verständnis, herzlich sogar!
Nachdem ich diesen Text gepostet habe, habe ich immer versucht, das Verhalten der anderen Frau zu erklären. Ich befand mich nur noch auf der Schiene der Rechtfertigung …
Eine Stimme, Deine Stimme, genügt, um mich nicht auch noch als kleinkarierten, pedantischen Schwachkopf zu fühlen. Das bedeutet mir viel!
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