Unsere alten Leute

Meine arme Mama braucht dringend einen Termin beim Augenarzt. Sie sieht sehr schlecht. Sucht im Haus Dinge, die sie nicht findet, obwohl sie dauernd daran vorbeigeht. Draußen bewegt sie sich unsicher, denn die kleine Person, kann vermutlich gerade mal bis zu ihren Knien hinunterschauen. Ihr hohes Alter rechtfertigt auch die Untersuchung zum Grauen Star, daher eine fachärztliche Untersuchung.

Wenn ich demnächst wieder meine Heimatstadt besuche, möchte ich sie zu einer Augenheilkundlerin oder Augenheilkundler bringen und auch im Sprechzimmer „dolmetschen“, wenn sie etwas nicht versteht. Sie hört auch fast nichts mehr. Aber das ist eine andere Baustelle.

Wenn ich meine Brille absetze und meine Hörgeräte herausnehme, habe ich eine ungefähre Vorstellung, wie sich meine Mutter mit eingeschränkten Sinnen fühlt. Es ist furchtbar!

Einen Anruf tätigen, um einen Termin zu machen. Öffentliche Verkehrsmittel allein benutzen. Die Praxis finden. Sich beim Ablauf dort nicht zu ängstigen. Jede einzelne Aktion würde sie anstrengen und überfordern. Mich kostet das nur ein Grinsen. Dachte ich …

Mit allen Infos über jene Frau, die sich nach meiner Geburt um mich gekümmert hat, weil die Natur es so vorsieht, dass wir ohne Fürsorge in den ersten Jahren nicht überleben können, machte ich:

Anruf 1
Das Band: „Unsere Praxis ist bis Freitag einschließlich geschlossen.“

Anruf 2
Die Sprechstundenhilfe: „Ich muss Sie leider darüber informieren, dass wir keine Patienten mehr annehmen.“

Anruf 3
Ich machte die Situation meiner Mutter dringlicher.
Sprechstundenhilfe: „Wir haben erst im Juni wieder Termine frei. Aber kommen Sie doch in die Akutsprechstunde ohne Termin. Von 8 bis 9.“
Ich: „Von 8 bis 9?“
Sprechstundenhilfe: „Ja, 8 bis 9.“
Ich: „Das überlegen wir uns. Wiedersehen.“
Wir haben Anfang Februar. Bis Juni läuft meine alte Dame vor Wände, weil sie sie nicht mehr sieht!
Bei mir hier brauche ich nur einmal niesen, dann stehen zehn Ärzte und zwei Psychotherapeuten bereit und wollen mich sofort behandeln.

Ich stelle mir vor, dass eine Akutsprechstunde etwas für Patienten mit Unfällen ist. Mit der Pinzette etwas aus den Augen entfernen. In der Art. Doch meine Mutter wird wahrscheinlich etwas mehr als eine Stunde brauchen für Untersuchungen und Diagnosen. Schließlich soll die Fachärztin oder der Facharzt die Patientin nicht auf einen Stuhl setzen, einmal drum herumlaufen, in die Hände klatschen und dann ein Brillenrezept ausstellen.
Außerdem, wenn der Hippokratische Eid geschworen wurde und gewissenhaft gearbeitet wird, wie übel haben alle nachfolgenden Patienten den ganzen Tag über zu warten?

Anruf 4
Habe ich nicht gemacht. Die Internetseite dieses Arztes war furchtbar. Unseriös. Sie fängt mit einem Foto von ihm an, Typ Goldkettchen, Porsche und Malle-Dauer-Urlauber. Und dann muss man sich durch seinen Werdegang lesen. Wo sind Telefonnummer, Sprechzeiten etc.? Der bekommt meine Ma nicht in die Finger.

Ich stelle fest, die Zeit wird knapp. Meine Mutter braucht dringend Hilfe. Auch wenn der Fall aufgrund der persönlichen Situation etwas komplizierter ist. Einfacher wäre es, sich von Medi-Robotern untersuchen zu lassen, wenn das gang und gäbe wäre.
Was wie geölte Maschinen reibungslos funktioniert, sind die Sprechstundenhilfen. Bei meinen Anrufen hatte ich den Eindruck, willkommen sind Patienten eher nicht. An diesen „Drachen“ kommt kein Ritter vorbei …

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