Freitag 20. Dezember 2019 · 22:38
Heute, Freitag, stehe ich vor den Supermarktregalen. Ich habe nicht viel Geld. Ich suche mir Reibekuchen aus der Gefriertruhe als warme Mahlzeit des Tages aus. Ich esse sie „herzhaft“, mit Pfeffer, Salz und anderen Gewürzen bestreut. Apfelmus, das andere dazu nehmen, ist mir viel zu teuer. Aber eine Dose Ananas darf es noch sein und wandert in den Einkaufskorb. Das einzige „Obst“, das ich mir gönne. Reicht es noch für eine Tüte Chips? Abends, gemütlich vor dem Fernseher? Vor dem Regal mit den Knabbereien zähle ich Cent für Cent mein Geld nach. Nein. Die günstigsten Chips überschreiten mein heutiges Budget.
Wenn man vom Staat lebt, kennt man das. Man kennt auch die Reden von rechtschaffenden Bürgern, die „Sozialschmarotzer zur Zwangsarbeit“ zwingen wollen.
Es sind wohl auch die gleichen Bürger, denen Fremde zuwider und Ausländer Aussatz sind und zum Schutz des christlichen Abendlandes alle Flüchtlinge dahin zurück schicken wollen, wo sie her kamen.
Wie war das mit dem christlichen Abendland? In vier Tagen ist Heiligabend. Weshalb feiert das Abendland eigentlich Weihnachten? Weil ein Gott, früher für so viele der Gott, es geschehen ließ, seinen Sohn Mensch werden zu lassen. Mit den gleichen Höhen und Tiefen des Menschseins, die wir auch kennen. Das ist der Grund! Und der einzige dazu! Und ihr könnt ja noch so viele Fress- und Geschenkorgien feiern wie ihr wollt, das ist der Ursprung des Christenfestes.
Später hat dieser Mann aus Nazareth dann noch einige wertvolle Dinge gesagt. Er sprach von Vergebung und Nächstenliebe. Zwischen den Menschen. Weil er uns das auch allein zutraute und wir dafür einen Gott nicht brauchen.
Ich stehe vor dem Haus, in dem ich wohne, und ziehe noch an einer Zigarette. Es regnet nicht mehr, aber der Wind ist stärker geworden.
Hier gibt es zehn Mietparteien. Sieben deutsche, eine türkische, eine aus Afrika, eine indische. Einige deutsche Weißbrote sind latent rassistisch und es gehört jetzt anscheinend zum guten Ton, „Bimobs“ zu der schwarzen Familie zu sagen. Die machen nichts weiter als leben. Der Familienvater hat einen Job. Seine Frau ist eine ausgesprochen schwarze Schönheit, die Kinder sind vormittags im Kindergarten. Als er mal sperrige Teile ins Haus tragen musste, bin ich zur Hilfe geeilt, weil es unrealistisch war, dass er es alleine schafft. Außerdem ist er mein Nachbar. Ein Nachbar, kein „Bimbo“.
Irgendwann habe ich mich mit dem zurückhaltenden Inder unterhalten. Sein Deutsch war sehr gut! Er hat einige gesundheitliche Einschränkungen. Das Arbeitsamt wollte ihm leichte Arbeit geben. Für 3 € die Stunde! Er sagte denen, das würde er nicht machen. Darauf setzte ihn das Arbeitsamt unter Druck: „Entweder du machst das, oder du fährst wieder zurück nach Indien!“ Das ist illegal. Illegal vom Amt. Einmal zu Silvester haben er und ich um 0 Uhr unsere Wohnungstüren aufgerissen und uns umarmt. Er bot mir was zu rauchen an. Mann, ich war eine Woche stoned … Ich weiß, dass er allein ist – wie ich.
Die türkische Familie sind junge Eltern und zwei Kinder. Einmal kam ein Paket an. Ich habe es für sie angenommen. Es war von Nike. Kein großer Karton. Vermutlich für den Sohn der Türken. Seine ersten Paar Nike! Er musste aufgeregt sein. Ich wusste nicht, wann da oben jemand ist, der es abholen könnte. Trotz eines Benachrichtigungsscheines in deren Briefkasten probierte ich immer wieder mal. Irgendwann konnte ich es abgeben. Der Vater hat sich noch wochenlang für meine Beharrlichkeit bedankt.
So ist es hier im Haus. Da sind die „Affen“, die „noch an den Bäumen schaukeln“, oben die „Kopftücher“ und einer, der mit niemanden spricht. Einige Rentner, junge Leute, die von ihren Vätern viel in den Arsch geblasen kriegen, eine Alleinerziehende und ich. Der Schriftsteller.
Mir hat heute im Supermarkt keiner die fehlenden 30 Cent für Chips geschenkt. Vielleicht fiel Jesu Wort der Nächstenliebe schon damals auf keinen fruchtbaren Boden.