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In der heißen Phase
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Leseprobe # 7
Dieser Text wurde in einer Zeitschrift und für eine Weile auf der Facebook-Seite der Autorengruppe Sem;kolon zusammen mit dem Bild „Fernlicht“ veröffentlicht. Ich erhielt dafür die Erlaubnis von Hanno Karlhuber selbst, dem Maler des Bildes. Er ist Vertreter des magischen Realismus und wohnt in Wien. Auf dem Ölgemälde ist eine nächtliche Landstraße zu sehen, die vom Fernlicht eines Autos ausgeleuchtet wird und zwar aus der Sicht des Autofahrers.
Mein Text kam dann in mein erstes Buch beim sonderpunkt Verlag, in „Ultraviolett – 14 Momentaufnahmen aus unbestimmten Tiefen“.
Übrigens nehme ich gerne wieder Vorbestellungen für mein neues, viertes Buch entgegen!
(4,90 €, portofreier Versand in Deutschland.)
Schlaflosigkeit
Kasernenton in der Fabrik. Am Schweißtisch kriecht die Zeit zwischen Beschimpf des Meisters und derben Scherzen der Kollegen.
Er wird einfach nicht zu Stahl und Hydraulik nicht sein Inneres.
Essen wartet immer im Kühlschrank, von der Mutter gemacht. Zuhause fremd und groß gemusterte Tapeten. Er geht seinem Vater aus dem Weg.
Wieder in den Wagen rein und fahren. Die Freundin lernt für das Abitur. Er hat keine Ahnung von Kurvendiskussion. Er will ihre Kurven spüren. Sie haut ihm auf die Finger.
In die Kneipe. Ein Bier mit ’nem Kumpel. Er will nicht nach Haus. Er ist noch nicht müde.
Morgen früh ruft die Werksirene. Unwichtig. Leben will er jetzt. Hat keine Ahnung, was das ist – Leben. Es gehört ihm nicht.
Auf der Flucht vor dem Schlaf, im aufgemotzten Käfer durch die Nacht über Landstraßen. Mit Fernlicht Kilometer um Kilometer. Allein. Die Cassette wieder umgedreht.
©hristoph Aschenbrenner
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Leseprobe # 6
Mancherlei Stichworte unserer Autorengruppe sind eine Herausforderung. Stichworte nehmen wir, um in irgendeiner Form beim nächsten Treffen einen selbstgeschriebenen, literarischen Text mit zu bringen. Das nennen wir Hausaufgaben, sie sind natürlich freiwillig. Sinn des Ganzen ist, im Schreibfluss zu bleiben, so wie Musiker ihre Fingerübungen praktizieren.
Die Hausaufgabe, die ich heute vorstelle, entstand durch das Stichwort „Banane“. Wir haben einfach die Kellnerin überfallen, als sie zu uns an den Tisch kam. Sie sollte das erste Wort nennen, das ihr ohne Nachzudenken in den Sinn kommt.
Ich werde es vielleicht auf der nächsten Lesung verwenden.
Möchten Sie diese Datei wirklich unwiderruflich löschen?
Banane? Banane! Banane. Da zündet nichts. Kein Funke springt über. Vollständig ideenlos.
„Banana Republic“ – einer von zwei Hits, den die Boomtown Rats hatten. Hört sich heute so an, als hätten sie den Gesang in normaler Tonbandgeschwindigkeit aufgenommen, jedoch beim finalen Mix schneller laufen lassen … Zu Beginn der 80er Jahre die Bundesrepublik als Bananenrepublik zu bezeichnen, hat Birne ganz schön sauer gemacht. Obstsalat. Helmut die Birne. Es konnte einen vor Gericht bringen, wenn man auf sein Auto kleben hatte: „Soldaten sind Mörder.“ Hatte ich je etwas auf meinem Auto kleben? Ich glaube nur die Passierplakette für den Campingplatz in Westkapelle. Und tote Tierchen.
Ein Anruf bei einer Freundin in Sachsen. „Sag, was fällt dir zu Banane ein?“ Sie meint: „So was hatten wir nicht. Höchstens als Bückware.“
1946 oder 1947. Von einem der alliierten Soldaten bekommt ein neunjähriges deutsches Mädchen eine Banane geschenkt. Sie probiert sie. Der Geschmack ist furchtbar und viel zu süß! Heimlich versteckt sie die Gabe unter Trümmern und lässt sie liegen. Dieses Mädchen wurde meine Mutter und mag inzwischen Bananen …
Gehen wir noch weiter zurück. Was war die Bananenschale in alten Slapstick-Filmen ein beliebtes Requisit! In den schwarzweiß Stummfilmen, die noch mit der Hand gekurbelt werden mussten. Da kommt ein angeberischer Erwachsener an und schimpft die kleinen Strolche aus – eine Bananenschale bringt die Welt in Ordnung und den Mann zu Fall.
Nun, ich hatte heute nur einen Apfel. Bananen hab ich grad nicht da. Es kostet einige Tage, sie genießen zu können, im Supermarkt sind sie in der Regel noch grün. Wir können eine Raumsonde ins All schicken und davon ein Landegerät auf einen Kometen abwerfen, doch dass Bananen reif zu kaufen sind, vermögen wir nicht.
Übrigens, ich habe Bedenken, einen Text darüber zu schreiben, wie schwer es ist, einen Text zu schreiben. So erwähne ich nicht die berühmte Banane von Andy Warhol auf einem Plattencover, und ich spare mir den Kalauer, warum eine Banane krumm ist … und … und …
Ich werde den Text jetzt löschen …!
©hristoph Aschenbrenner
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Leseprobe # 5
Dies hier gehört zu meinen ersten Veröffentlichungen. Es war in einer Anthologie. Es wurden Texte von Autoren gesucht, die noch nicht bekannt waren. Ich finde es frappierend, wie ich mich immer noch darin wiederfinde. Nach all den Jahren …
(ohne Titel)
Ich liebe es, wenn die Uhren zeitlos ticken,
sich die Wirklichkeit an Wänden plattdrückt,
wie an Schaufensterscheiben,
Wänden aus meterdicker Sinnlichkeit.
So bette ich mein Haupt auf Träume,
bedecke mich mit Sanftmut,
lausche dem Plätschern der Heiterkeit.
Fliehe vor der Melancholie,
die abends von der Decke tropft.
Süß-sauer schmeckt die Einsamkeit. Nach
Trostlosigkeit bei Qualm
und schalem Bier in billigen Kneipen,
steigst du die Stufen in engen Treppenhäusern,
wo der Putz von den Wänden fällt, auf der
Suche nach irgendwo.
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Leseprobe # 4
Auf unserem letzten Sem;kolon-Treffen haben wir uns als Stichwort für eine freiwillige Hausaufgabe das Wort „herausgerissen“ gestellt. Der folgende Text hat somit das Thema knapp verfehlt. Das ist nicht schlimm, besonders, wenn einen etwas anderes auf den Nägeln brennt.
Wenn morgen Klassentreffen wäre …
… würde ich heute anreisen und mich bei meinen Eltern einquartieren. Bei dieser Gelegenheit einen dankbaren Blick für meine Mutter, die die komplette Schulzeit durch meine Pausenbrote geschmiert hat. Jeden Morgen und mit Salami belegt. Abends eine mitgebrachte DVD mit Vater gucken. Bei Schrott auf allen Kanälen zeigen sie uns nicht mehr die guten Filme aus meiner Kindheit im Fernsehen. Von Don Camillo und Weltraumabenteuern.
Für das Treffen nach 30 Jahren leihe ich mir einen Schirm. Die Bewölkung verdichtet sich. Betrete das Lokal hinter der Kirche. Am Tresen die gleichen Männer an der gleichen Stelle mit dem üblichen Bier wie damals. Nur älter und weniger Haare.
Hinten im Saal die Mädchen und Jungen meiner Klasse. Petra, Veronika, Cornelia und Guido, Thomas, Markus. Jetzt Erwachsene. Bettina hat das alles organisiert. Hält verlegen eine kleine Rede. Wir applaudieren. Ich finde einen Platz bei meinen Kameraden von einst. Nicht weit von mir sitzt Steffi, die erste, mit der ich richtig ging. Verheiratet, zwei Kinder, Teilzeit berufstätig.
Während auf das Essen gewartet wird, machen in meiner Ecke alte Witze die Runde. Heute wohl Herrenwitze genannt. Guido schimpft auf seine Lehrlinge, doch ich erinnere mich nicht, dass er in Mathe selbst eine besondere Leuchte war.
„Was machst du?“, die Frage kommt von links. Von Frank. Stiller wird es. Oder ist es, weil alle ihr Essen bekommen haben?
„Ich habe in Münster studiert. Ich veröffentliche Bücher. In Anthologien bin ich vertreten, gebe aber auch Monographien heraus. Aber davon lebt man nicht, ich habe auch einen Bürojob.“
„Wann kommst du wieder zurück?“
Mir wird es peinlich. Bettina ruft jetzt zu einem Gemeinschaftsfoto auf, es sollen sich doch alle in Position stellen.
Ich weiß nicht, ob ich auf dem Foto gelächelt habe. Ich habe es nicht bekommen. Mein Wunsch ging unter. Als Frank freundschaftlich den Arm auf meine Schulter legt, bin ich weit weg. Prägung. Diejenigen, die mich in der Schulzeit so oft verprügelt haben, als ich mich noch nicht wehren konnte, haben dazu beigetragen. Hellwach zu sein und aufmerksam. Die Gefahr von Schlägen und Tritten war überall. Deshalb bemerke ich Dinge, an denen andere achtlos vorbei laufen. Beobachtungsgabe ist wichtig für einen Autor.
Ich verabschiede mich zu der Zeit, in der man anfängt, Korn zu bestellen. Auf dem Weg zu meinen Eltern bin ich froh, an den Schirm gedacht zu haben.
©hristoph Aschenbrenner; © Christoph Aschenbrenner
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Leseprobe # 3
Ich liebe Science Fiction! Schon als Kind durfte ich all das in mich einsaugen, was mein Vater abends nach Feierabend im Fernsehen sah. Bei drei Programmen ohne Werbeunterbrechungen … Nie werde ich die Enttäuschung vergessen, als mir meine Eltern nicht erlaubten, mir 1978 den ersten „Krieg der Sterne“-Film im Kino anzuschauen! (Heute heißt es dazu: „Wir wussten ja nicht, was das war.“) Ich war noch 11 und es wäre noch nicht ohne Elternbegleitung gegangen. Dieser Text entstand wieder zu einer Hausaufgabe unserer Autorengruppe Sem;kolon. Wir haben den ganzen Abend neben der Kritik an unseren Texten über alles Mögliche diskutiert. Als es darum ging, ein Stichwort festzulegen, nahmen wir einfach einen Begriff aus unserem letzten Meinungsaustausch: Fremdbestimmung. Es handelt sich dabei um ein Preview.
Durst
„Guten Morgen, F-X307. Bitte nehmen Sie von den blauen Tabletten heute zwei mehr!“
Als sie geweckt wurde, indem das Licht in ihrem fensterlosen Raum anging, hat sie sich ordnungsgemäß auf den Feuchtigkeitssammler gesetzt und uriniert, um die Analyse machen zu lassen, die ihre heutige Dosis optimiert.
Zahlenwerte huschen über den Spiegel, der zugleich Display ist und Überwachungseinheit. Sie sieht ihr bleiches Gesicht, fünf Millimeter kurze, blonde Haare und große blaue Augen.
„Bitte denken Sie daran, Wasser ist unsere kostbarste Ressource. Bitte verschwenden Sie unter keinen Umständen Wasser! Sie können sich nun pudern, F-X307.“
Leicht zögert sie.
„Ist etwas, F-X307? Brauchen Sie einen psychologischen Berater?“
Sie erledigt hastig das Pudern. Zieht ihren weißen Overall und ein Paar weiße Sneakers an, die wie jeden Morgen neu in ihrer Größe in der Schublade unter dem Spiegel liegen.
Ein Blick auf ihr Spiegelbild und sie will gehen, doch sie wird noch aufgehalten: „F-X307, Ihr Termin beim psychologischen Berater ist heute um fünfzehn null null, bitte versäumen Sie ihn nicht!“
Ihr Gesicht bleibt ausdruckslos, wie auch das all der anderen, denen sie auf ihrem Weg durch die Gänge begegnet.
Menschen, weiß gekleidet, wie sie auf dem Weg. Ab und zu Ms in orangen Overalls. Sie hat mal gehört, dass Fs nicht den angemessenen Respekt erhalten, um die Ordnung wieder herzustellen. Doch Unordnung gibt es so gut wie kaum. Oder ist das nicht das richtige Wort? Unordnung? Sie hat keine Zeit mehr, darüber nachzudenken.
„Willkommen, F-X307, Ihre Schicht beginnt jetzt. Bitte kontrollieren Sie …“
Es ist dieselbe Stimme, die sie gerade in ihrem kleinen Appartement gehört hat. Und sie wird sie den ganzen Tag bis zur Schlafempfehlung begleiten. Es ist eine F-Stimme.
Mittagessen. Später Ende der Schicht. Sie weiß, nun wird es schwer, und hastet schon durch die weißen, gleichmäßig ausgeleuchteten Gänge. Ein Oranger spricht sie freundlich an.
„Bitte vermeiden Sie schnelles Gehen, es könnte auf andere provokant wirken!“
„Ja, danke. Wasser ist kostbar.“
Obwohl sie korrekt geantwortet hat, und auch ihr Tempo verlangsamt, schaut ihr der M lange nach.
„Guten Tag, F-X307, M-504 erwartet Sie im hinteren Praxiszimmer.“
„So viel Platz!“ schießt es ihr jedes Mal durch den Kopf. Das macht der fehlende Buchstabe vor der Code-Nummer, weiß sie.
M-504 deutet ihr an, sich zu setzen, an seinem transparenten Schreibtisch liest er noch im Display.
Das ist normal. Ihre aktuellen Daten und Werte.
Nun lehnt er sich zurück. Lächelt.
„Sie sind heute wieder nervös.“
„Ja.“ Es hat keinen Zweck es zu leugnen.
„Wissen Sie, ich habe hier viele Beratungsfälle, die kommen sehr gerne zu mir.“
Sie hält die Luft an.
„Bei Ihnen ist es mir ein Rätsel, warum Sie Angst vor mir zu haben scheinen.“ Er lächelt wieder.
Sie weiß nicht, was „Rätsel“ und „Angst“ ist, aber sie sagt: „Ja.“
„Bitte beantworten Sie mir kurz folgende Fragen.“
Das ist Routine.
„Medikamente?“
„Ja.“
„Von 1 bis 10, wobei 10 das höchste ist: Arbeitsmotivation?“
„8 bis 9.“
„Wasser verschwendet?“
„Nein!“ Sie ist entrüstet.
„Schlaf?“
„Zu der vorgegebenen Zeit.“
„Träumen Sie?“
Keine Antwort.
„Träumen Sie?“
Sie fühlt sich überfordert, zeigt Unruhe.
„Es ist nicht schlimm, wenn Sie nicht wissen, was Träumen ist.“
„Danke. Wasser ist kostbar.“
Der psychologische Berater scheint etwas abzuwägen. Er lächelt sie an.
„In den Zeiten, als Wasser unbegrenzt zur Verfügung stand, wurde noch geträumt. Träume sind Gehirnaktivitäten, die im Schlaf Reize auslösen können. Sie sind nicht real“, erklärt er ihr.
„Wir haben mit der Medikation auch das Träumen abgeschafft, es ist verwirrend und unproduktiv.“
Ruhig ist sie geworden, sie weiß nicht warum.
„Ich lese in Ihrem Dossier, dass Sie Ihre Freizeit nicht mehr mit M-K444 verbringen?“
„Nein. Es steht mir die Wahl für einen neuen Mann zu.“
„Ja, das ist richtig. Doch hätten Sie gerne länger Zeit mit M-K444 verbracht?“
Sie überlegt.
„Nein. Wir haben einander unsere Pflicht erfüllt.“
M-504 tippt auf das Display vor ihm.
„Das ist die richtige Einstellung! Wasser ist kostbar!“
„Wasser ist kostbar.“
Sie steht auf und geht.
Sehr langsam geht sie zurück zu ihrem Appartement. Während sie nachdenkt, wird sie angesprochen.
„Bitte halten Sie durch Ihr verzögertes Gehen nicht andere auf!“
Sie beschleunigt ihre Schritte.
Als sie in ihrem Appartement ist, fällt ihr auf, den Gruß versäumt zu haben …
Sieben Arbeitsschichten später. Sie und M-V340 beginnen sich kennenzulernen. Die gewöhnlichen Fragen und Antworten mit einem gewissen Spielraum. Die kostbaren Getränke bei dieser Gelegenheit.
Am folgenden Morgen ist etwas anders. Sie wacht vor dem Einschalten des Lichts auf. Sie fühlt etwas Schweres. Trotzdem schönes. Aber unbekannt. Von der Schlafempfehlung bis jetzt war etwas. Wie Bilder ohne Kontrolle. Und in dem Moment, als das Licht angeht, weiß sie es. Es waren ihre eigenen Bilder.
©hristoph Aschenbrenner; © Christoph Aschenbrenner
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Leseprobe # 2
In unserer Autorengruppe Sem;kolon stellen wir uns für den nächsten Abend immer eine „Hausaugabe“. Der Grund ist, falls jemand partout nichts einfallen will, hat er ein Stichwort, welches ihm Ideen liefern kann. All das ist freiwillig.
Um ein Stichwort zu finden, haben wir schon die Bedienung unseres Trefflokals gefragt, den Finger auf eine Seite einer herumliegenden Süddeutschen getippt oder neue Sem;kolon-Interessenten in die Pflicht genommen. Dieses Mal haben wir uns etwas Besonderes einfallen lassen.
Jeder brachte ein Jugendfoto von sich mit, Altersbegrenzung zwischen 13 und 17 Jahren. Im geheimen Losverfahren bekam jeder von uns ein Foto eines anderen. Und was uns dazu einfällt, darüber sollten wir schreiben. Hier meine Lösung der „Hausaufgabe“.
Ein Schuss entfernt
Klick! Ob das Foto etwas geworden ist? Sie legt die Leica neben sich auf das Handtuch, das sie im Schatten nicht weit vom Schwimmbecken ausgebreitet hat.
Ihr Opa hat sie beiseite genommen, als sie in die 11. Klasse gekommen ist.
„Jetzt, wo du in die Obersekunda gekommen bist, sollst du etwas haben, was dir viel Freude machen wird!“ hat er zu ihr gesagt. Dann hat er ihr die Leica gezeigt und erklärt.
Sie wusste, ihr Großvater ist viel gereist und hat interessante Fotos für Zeitungen und Illustrierte geschossen. Als er in Korea war, hat er damit aufgehört. Warum, das wusste sie nicht.
„Wenn du sorgfältig damit umgehst und gut auf sie aufpasst, hast du dein ganzes Leben was davon“, sagte er ihr noch mit leuchtendem Blick.
Als 15-jährige fand sie sein Geschenk überhaupt nicht spannend. Viel lieber hätte sie einen Walkman gehabt, wie einige Mädchen in ihrer Stufe. Und die ersten Aufnahmen waren nach der Entwicklung mehr als bescheiden. Opa ließ nicht locker. Er zeigte ihr seine Fotos, erzählte, wie sie entstanden sind, und was die Kamera dabei leisten konnte. Dabei ist wohl was übergesprungen, denn die Leica war nun immer dabei und geladen.
So auch an diesem ungeheuer trägen Sommertag. Sehr warm. Das Abitur bestanden ist es höchste Zeit, an die Zukunft zu denken. Nur nicht heute! Der einzige Ort des Überlebens ist das Schwimmbad bei ihnen, nur ein paar Minuten mit dem Rad entfernt.
Allein ist sie gekommen, ihre beiden Freundinnen haben abgesagt. Sie haben ihre Tage. Gleichzeitig? Es ist so heiß, dass sie nicht nachrechnen kann. Aber es gibt keinen Grund anzunehmen, dass ihre beiden besten Freundinnen sie belügen.
Das Foto, das sie gerade gemacht hat, ist ein Auftragsfoto. Seitdem sie hier ist, wird sie Horst nicht los. Ausgerechnet der! Der schmale Bursche mit der großen Klappe. Sein gewinnendes Grinsen hat auf sie keine Wirkung. Sie kennen sich von der Schule. Zuerst will er ihr ein Eis spendieren. Dankend lehnt sie ab. Er sieht ihren Fotoapparat und prahlt damit, dass er schon mit einer Ritschratsch Agfa-Pocket fantastische Aufnahmen gemacht hat. Wer’s glaubt. Dann soll sie seinen tollen Hechtsprung ins Becken aufnehmen. Meinetwegen. Da hat sie ihn wenigstens von der Backe.
Sie würde zur Abkühlung auch gerne ins Wasser gehen, doch Horst ist schon wieder da und quasselt ohne Punkt und Komma. Ihr wird es schließlich zu bunt wie ein Foto mit Farbstich, legt die kleine Leica in ihre Tasche, steht auf und geht zum Schwimmbecken. Horst natürlich hinterher. Als er schnallt, dass sie ins Wasser will, springt er noch mal cool ins H₂O. Sie lächelt. So lange er unter Wasser ist, beeilt sie sich, an eine andere Stelle des Beckens zu kommen, um dann langsam ins kühle Nass zu steigen. Voll geil! Sie schaut in die Richtung, wo Horst auftauchen muss und nach ihr Ausschau halten wird. Dabei merkt sie nicht, wie in ihrer Nähe ein paar Jungs damit anfangen, einfach alle, die sich nicht wehren können, zu döppen. So wird auch sie von hinten unter Wasser gedrückt. Schreck und Atemnot bringt sie in Panik. Sie weiß nicht mehr, wie lange es gedauert hat, es ist nur mit einem Mal vorbei, sie schießt über den Wasserspiegel, prustet und ringt nach Luft.
Horst brüllt die feigen Jugendlichen an.
„Ihr Penner! Macht das ja nicht noch mal! Der Bademeister ist mein Onkel, ein Wort von mir, und ihr habt hier Platzverweis!“
„War ja nur Spaß“, meint einer von ihnen, schon ziemlich kleinlaut.
„Spaß?“ Horst läuft zur Höchstform auf. „Auf diese Weise ist letztes Jahr ein Kind umgekommen! Und jetzt will ich euch nicht mehr sehen, ihr ätzenden Idioten!“
Eine Weile starren sich die Assis und Horst noch an, dann geben die Typen nach und steigen aus dem Becken.
„Danke Horst“, sagt sie. Sie lässt sich von ihm aus dem Becken helfen.
Noch etwas benommen setzt sie sich auf ihr Handtuch.
„Ich wusste nicht, dass dein Onkel hier Bademeister ist.“
„Ich auch nicht“, sagt er. Sie lacht laut und bekommt sich fast nicht mehr ein. Sie findet, er hat ein gewinnendes Grinsen.
Ihr ist bei den Umzugsvorbereitungen wieder das Foto in die Hände gefallen. Von ihrem Mann, der in das Schwimmbecken springt. Als er noch nicht ihr Mann war. Aber da hat alles angefangen. Übrigens hat Horst damals ihre beiden Freundinnen mit viel Eis mit Sahne bestochen. Alles geplant, nur nicht das mit den fiesen Jungs … Es war ihr erstes Auftragsfoto, erinnert sie sich. Bis zur Geburt der ersten Tochter hat sie mit der Fotografie Geld verdient. Danke Opa, wenn Du gerade vom Himmel runterschaust! Jetzt zieht die Familie in ein Haus, wo dann endlich mehr Platz für alle ist – die gute, handliche Leica kommt selbstredend mit – und wo Horst dann hoffentlich wieder öfter sein gewinnendes Grinsen zeigt. Sie seufzt, sucht einen Bleistift, dreht das Foto um und schreibt: Auftrags-Nr.: 1, Kunde: Horst Köhlers, Bezahlung: erfülltes Eheleben und die drei liebsten Kinder, die sich eine Mutter wünschen kann.
©hristoph Aschenbrenner; © Christoph Aschenbrenner
Foto: Privatbesitz mit freundlicher Genehmigung
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Leseprobe # 1
Mir ist etwas aufgefallen. Seitdem ich diesen Blog betreibe, für meine Bücher werbe und von Lesungen berichte, ist es noch nicht dazu gekommen, dass ich hier ein Stück Literatur von mir poste. Das werde ich jetzt ändern! Doch was nehmen? Der einzige rote Faden, der sich durch alle Texte zieht, ist nämlich die Tatsache, dass sie fast alle unterschiedlich sind. Ok, dann mal diesen.
Dass man einander nicht riechen kann, ist ein altbekannter Spruch. Hier bin ich mir noch über die Konsequenz im Unklaren.
Umzug
Am Sonntag ist der Auszug einer Nachbarin. Ich kannte sie kaum. Alle ihre Freundinnen helfen mit. Junge, sportliche, durchtrainierte Frauen, die auch ein großes Schrankteil anpacken und durch das Treppenhaus bugsieren können. Na ja, wenn nicht, besorgt die Schwerkraft eben den Rest.
Geht natürlich nicht ohne Gelächter und Getratsche ab. Alles ok. Ist auch nett anzusehen.
Nicht lange, da schnuppere ich einen intensiven Duft, der unter die Wohnungstür durch aus dem Flur kommt. Brennt da was? Eine undichte Gasleitung? Nein. All die Mädels – Fitness hin oder her – kommen ins Schwitzen. Auch kein Problem. Doch die Geheimwaffe dagegen sind diese neuartigen Deos. Obwohl auf so einer Sprayflasche 48 Stunden Wirkdauer steht, benutzen sie sie natürlich in jeder Pipipause. Es scheint, als sei der Grundstoff dieser Deos Kerosin, etwas womit man Flugzeuge antreibt. Im Treppenhaus landen also Concordes in Permanenz, nicht nur aufgrund der Geräuschkulisse sondern auch wegen des Geruchs.
Die Aerosole dieser Deos sind nicht nur extrem leicht entflammbar, sie dienen in der Natur der Wolkenbildung, werden für den sauren Regen in den 80ern verantwortlich gemacht, der zum großen Waldsterben führte, und helfen beim Autolackieren.
Vermutlich erspart es den netten jungen Frauen auch die lästige Rasur der Achselhaare oder wo sonst noch Fa & Co zur Anwendung kommen.
©hristoph Aschenbrenner; © Christoph Aschenbrenner
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