Ich suche nach einem akzeptablen Radiosender. Vor kurzem hatte ich einen Meinungsaustausch über Sinn und Unsinn von Radio hören mit ohneeinander hier.
Akzeptabel heißt, die Musik, die sie bringen, sollten Oldies sein. Bei mir ist Musik aus den 80ern schon uralt, nicht wahr?
Mit meiner Miete bezahle ich auch einen Kabelanschluss, der für glasklaren Radioempfang sorgt. Während ich durch das FM-Band surfe – ha, surfen wie im Internet – bleibe ich bei einer Station hängen.
Eine Frauen- und eine Männerstimme. Keine Musik. Und ich verstehe kein Wort. Niederland-Radio.
Ich liebe die holländische Sprache! Unsere westlichen Nachbarn reden in einem gurrenden Sing-Sang, der ab und zu mit krächzenden Lauten garniert wird. Ähnlich wie der Beginn meines Vornamens: „Chrrr“. So hört sich das jedenfalls für mich an. Es erinnert mich an was.
…
Abschlussklasse 1983. Endlich Schulende. Unsere Abschlussfahrt ging nach Den Haag. Bevor sich der Klassenverband und auch mehrjährige Freundschaften in Nichts auflösten, wollten wir es nochmal richtig krachen lassen!
Viel will ich davon nicht erzählen. Unsere Clique bestand aus Jungs, die, so erinnere ich mich mühsam, nur das Saufen im Sinn hatten. In Kneipen und Discos gab es praktischerweise Meter-Bier. Das war ein schmales Brett, ein Meter lang, in dem es eine Anzahl Vertiefungen für Biergläser gab. Wieviel Liter Bier man also pro Meter bekam, habe ich nicht ausgerechnet. Mathe war – bis auf Geometrie – mein schwächstes Fach. Darum habe ich fast nicht gemerkt, dass ich mal für holländische Fritten zu wenig Wechselgeld bekam. Ich ging extra zurück und sah wohl einschüchternd genug aus, damit dieses „Versehen“ korrigiert wurde …
Es waren auch nicht die Holländer, die mir einen bleibenden Eindruck an diese Klassenfahrt hinterließen. Zur gleichen Zeit waren Mädchen aus einem Internat in Frankreich in der Jugendherberge untergebracht. Mann oh Mann und oh là là!
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So! Einen Sender gefunden und gespeichert. Sie spielen gerade „Trough The Barricades“ von Spandau Ballet. Radio Netherlands hat auch einen Speicherplatz bekommen …
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Mit dem Radio nach Den Haag
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Simply Red, selbst gebrannt
Beim Wühlen in meinen Beständen finde ich diese CD wieder. „Der BH bleibt an!“, fällt mir dazu ein. In ihrer Handschrift steht „Simply Red best of“ drauf.
R. An sie erinnere ich mich gut. Ein paar Mal habe ich sie besucht. Weiter draußen, in ländlicher Gegend. Wo der Mietpreis günstiger ist und man mehr Wohnraum dafür bekommt. Das war in 2004, denn ich vermerke auf allen gebrannten CDs – ob sie von mir selbst sind oder anderen – die Jahreszahl.
R. war nicht von hier. Irgendwoher aus dem süddeutschen Raum, wohin sie dann auch wieder zurückgezogen ist. Sie arbeitete für die Forschung in einem Labor. Dann taten ihr die Labormäuse Leid …
R. hatte eine Conga Trommel in ihrem Wohnzimmer. Ihre 70er Jahre Folkmusik, die bei ihr lief, hat mich einmal genervt. Vielleicht hat sie mir deshalb die CD gebrannt? Um zu zeigen, dass sie auch andere Musik mochte? Oder dass sie technisch in der Lage war, eine CD zu brennen? Bei R. war ich mir als Mann nie sicher. Sollte ich sie stehen lassen oder die Initiative ergreifen? Sie schien sich immer eine Tür offen zu halten. Und zwar auch im wörtlichen Sinn. R. litt an Klaustrophobie. Sie wurde schon nervös, wenn ich aus Gewohnheit alle Türen hinter mir zuzog. Einmal hatte sie sich im Flur zwischen Wohnungs- und Haustür ausgeschlossen. Das war für sie das Schlimmste.
Das war mir nicht egal und ich mochte sie sehr. Sie war allein, ich war allein. Aber letztlich wurde sie auf der Couch zum Stopp!-Schild.
Einmal habe ich sie noch gesehen, nach ein paar Jahren. Sie rief mich an. Sie war hier auf einer Hochzeit. Bevor sie in den Zug stieg, tranken wir noch irgendwo einen Kaffee. Die Stimmung war eher wie auf einer Beerdigung. Ach, kleine R., ich hoffe, es geht dir heute gut!
Ich ordne R.s CD zu den anderen Sachen von Simply Red. Titel 16 hat einen Aussetzer.
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Leseprobe # 4
Auf unserem letzten Sem;kolon-Treffen haben wir uns als Stichwort für eine freiwillige Hausaufgabe das Wort „herausgerissen“ gestellt. Der folgende Text hat somit das Thema knapp verfehlt. Das ist nicht schlimm, besonders, wenn einen etwas anderes auf den Nägeln brennt.
Wenn morgen Klassentreffen wäre …
… würde ich heute anreisen und mich bei meinen Eltern einquartieren. Bei dieser Gelegenheit einen dankbaren Blick für meine Mutter, die die komplette Schulzeit durch meine Pausenbrote geschmiert hat. Jeden Morgen und mit Salami belegt. Abends eine mitgebrachte DVD mit Vater gucken. Bei Schrott auf allen Kanälen zeigen sie uns nicht mehr die guten Filme aus meiner Kindheit im Fernsehen. Von Don Camillo und Weltraumabenteuern.
Für das Treffen nach 30 Jahren leihe ich mir einen Schirm. Die Bewölkung verdichtet sich. Betrete das Lokal hinter der Kirche. Am Tresen die gleichen Männer an der gleichen Stelle mit dem üblichen Bier wie damals. Nur älter und weniger Haare.
Hinten im Saal die Mädchen und Jungen meiner Klasse. Petra, Veronika, Cornelia und Guido, Thomas, Markus. Jetzt Erwachsene. Bettina hat das alles organisiert. Hält verlegen eine kleine Rede. Wir applaudieren. Ich finde einen Platz bei meinen Kameraden von einst. Nicht weit von mir sitzt Steffi, die erste, mit der ich richtig ging. Verheiratet, zwei Kinder, Teilzeit berufstätig.
Während auf das Essen gewartet wird, machen in meiner Ecke alte Witze die Runde. Heute wohl Herrenwitze genannt. Guido schimpft auf seine Lehrlinge, doch ich erinnere mich nicht, dass er in Mathe selbst eine besondere Leuchte war.
„Was machst du?“, die Frage kommt von links. Von Frank. Stiller wird es. Oder ist es, weil alle ihr Essen bekommen haben?
„Ich habe in Münster studiert. Ich veröffentliche Bücher. In Anthologien bin ich vertreten, gebe aber auch Monographien heraus. Aber davon lebt man nicht, ich habe auch einen Bürojob.“
„Wann kommst du wieder zurück?“
Mir wird es peinlich. Bettina ruft jetzt zu einem Gemeinschaftsfoto auf, es sollen sich doch alle in Position stellen.
Ich weiß nicht, ob ich auf dem Foto gelächelt habe. Ich habe es nicht bekommen. Mein Wunsch ging unter. Als Frank freundschaftlich den Arm auf meine Schulter legt, bin ich weit weg. Prägung. Diejenigen, die mich in der Schulzeit so oft verprügelt haben, als ich mich noch nicht wehren konnte, haben dazu beigetragen. Hellwach zu sein und aufmerksam. Die Gefahr von Schlägen und Tritten war überall. Deshalb bemerke ich Dinge, an denen andere achtlos vorbei laufen. Beobachtungsgabe ist wichtig für einen Autor.
Ich verabschiede mich zu der Zeit, in der man anfängt, Korn zu bestellen. Auf dem Weg zu meinen Eltern bin ich froh, an den Schirm gedacht zu haben.
©hristoph Aschenbrenner; © Christoph Aschenbrenner
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