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Neue Lesung!

Zur Lesung im Coworking „Watermark“ direkt am Kreativkai laden Jürgen Flenker, Katja Angenent und Christoph Aschenbrenner von Sem;kolon ein.
Am Freitag, 17. März 2017, Hafenweg 22, 48155 Münster.
Um 19:30 Uhr kann man miterleben, wie Wortfischer ihre Netze einholen, die Poesie zwischen den Zeilen schwimmt und Alltag einer Lagune weicht.
Eintritt: 3 bis 5 €

Wir werden diese schöne Lesung haben. Auch wenn es 2017 ist, es ändert nichts daran, dass wir das gleiche tun wie seit der Dämmerung der Menschheit.
Jäger zogen aus. Die Sippe hatte Hunger. Die Jäger fanden Spuren, mussten sie interpretieren, ob es lohnenswerte Beute gäbe. Der Moment des Kampfes. Und am Lagerfeuer wurden Geschichten erzählt. Alle wurden satt.
Unsere Gäste werden kommen, um einen Hunger zu stillen. Um Geschichten zu hören und sich zu wärmen, deshalb sind sie hier.
Als Autor bin ich jedoch immer Jäger. Ich muss Fährten lesen. Muss wissen, was den Weg kreuzt. Wer durch die Zeit getrampelt ist.

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Brüder, das war heute mein Tag

Ich beginne meinen Bericht mit dem angenehmsten. Als ich von der Arbeit kam, eine Zeitung und drei einfache Brötchen mitbrachte, vertrieb ich meinen Hunger, der sich gut versteckt hatte. Meine Brüder, vermutlich hätte ich nicht mal gemerkt, wie sich mein Magen nach belegten Brötchen mit Wurst sehnte, bis es Abend geworden wäre. All meine Kollegen haben ja genug süßes Zeug auf den Tischen liegen. Es unterhält sich einfach gemütlicher, wenn man dabei nascht. Scheiß Arbeit, kurz vor Weihnachten kommt nichts neues mehr rein, man sitzt nur die lausig bezahlten Stunden ab. Ihr kennt es, Brüder.
Ein ordentliches Mahl war aber nur das Vorspiel. Ich ging ins abgedunkelte Schlafzimmer, streckte mich aus und startete mit der Fernbedienung Musik. Und dann, schwer zu beschreiben, sank ich wie in ein tiefes, tiefes Meer. Soweit es noch Licht gab, kamen mir Gestalten in merkwürdigen Situationen entgegen, ich selbst wurde vielfach gespiegelt und ich erkannte eigene Erinnerungen. Dann wurde es dunkel und wohltuend still.
Kurz bevor ich wieder die Wasseroberfläche erreichte, schoss mir der Gedanke durch den Kopf:
„Ich geh nicht arbeiten! Ich geh nicht arbeiten!“
Ich wachte auf und schnappte nach Luft. Etwas hatte mich erschreckt. Dennoch war ich ruhig. Ich weiß nicht, wie lange ich weg war, aber es hatte mir gut getan. Ihr wisst, wie das ist.
Ich lag noch eine Weile so im Bett. Wie es draußen aussah, war mir egal, denn entweder war es dicht bewölkt oder schon dunkel, was heute irgendwie dieselbe Scheiße war.
Liebe Brüder, mein Tag fing damit an, viel zu früh in eisiger Kälte auf Busse zu warten, die sich verspäteten, überall die Frauen mit den Augen zu scannen, ob sich eine meiner würdig erweist, vor meinem Computer am Arbeitsplatz hochbeschäftigt auszusehen und dabei möglichst gar nichts zu tun. Dann retour mit den Bussen. Das kennt ihr, Brüder.
Jetzt ist Abend. Draußen rollt noch viel Verkehr durch die Straße. Bis etwas großes böses den ganzen Tag gefressen hat, und ich zu Bett gehen muss, um morgen wieder im gleichen Rädchen zu laufen wie jeden Tag. Sagt mir Brüder, wie konntet ihr es so lange ertragen?

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Tanz im Museum

Als wir letztens in jenem Café saßen, welches noch den Charme der 1920er Jahre atmete, fiel mir etwas auf. So spät kaum Gäste. Der Kellner nervte mit seinem bodenständigen Frohsinn. Übt wohl für ein Casting für Comedians. Dafür war die Musik klasse. Ich kenne keine Frau, die sich so gut mit Sängerinnen, Sänger und Gruppen auskennt wie sie. Ja, sie weiß mehr über die neueren Sachen als ich. Wenn ihr etwas besonders gut gefiel, tanzte sie mit ihrem Oberkörper mit. Ich glaube, sie hat ihr halbes Leben auf der Tanzfläche verbracht.
Seit dem ich sie kenne, habe ich mehr Museen, Vernissagen und Ausstellungen besucht, als in den ganzen 25 Jahren seit dem ich in dieser Stadt bin. Sie hat einen nicht stillbaren Hunger nach Kunst und Kultur.
Heute erarbeiten wir uns das Museum für Lackkunst. Nicht groß. Wenn man sich erst mal daran gewöhnt hat, dass generell viele Exponate in fensterlosen Räumen stehen, ist das auch nicht mehr beklemmend.
Über die Kunst, und hier gerade über bemalte Kästchen aus dem alten China, unterhalten wir uns kaum. Vermutlich hat sie die andere Hälfte ihres Lebens in Museen verbracht … Sie betrachtet eine Kassette und wirft mir ein paar Brocken Gesprächsstoff zu. Diese gilt es aufzufangen und weiter zu spinnen. Oder einfach überraschend mit etwas Neuem zu kontern. Dabei stehe ich nie still. Ich ändere dauernd meine Position wie bei „Schiffe versenken“ für Fortgeschrittene. Geht sie zur nächsten Vitrine, reichen mir einige wenige Blicke, um das zu erfassen, was sie gerade gesehen hat.
Auf diese Weise tänzle ich ihr über drei Stockwerke hinterher. Eines Tages werde ich ihre Hand nehmen, halte ihren Rücken und wir tanzen durch offene Türen. Auch ohne Musik.

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Im Keller

Licht. Spind Nr. 11. Stuhl. Tisch. Auf dem Estrich eine Pfütze.
Etwas ist undicht. Das sei normal nach all dem Regen, heißt es.
Licht. Spind 11. Stuhl. Tisch. Millionen Fragen.
„Welche Medikamente nehmen Sie jetzt?“
„Wie oft stellen Sie den Wechsel Ihrer Stimmung fest?“
„Wie schnell erfolgt das?“
„Wie schlafen Sie?“
Licht. Nr. 11. Stuhl. Tisch. Die Anderen.
„Hier kannste dir Kaffee nehmen bist der Arzt kommt.“
„Ich habe Depressionen, nur Depressionen.“
Licht. Spind 11. Stuhl. Tisch. Anruf nach Hause mit dem Handy.
„Heute gab es zum Mittag Hähnchengeschnetzeltes in Rahmsoße und dazu Gemüsereis. Lecker! Keine Sorge, ich verhungere hier nicht.“
Licht. 11. Stuhl. Tisch. Untersuchungen.
Puls. Blutdruck. Blut- und Urinproben. EKG.
Licht. Spind 11. Stuhl. Tisch. Therapien.
„Hier liegen einige Fotos mit geometrischen Formen.“
„Sie können malen oder zeichnen.“
„Nehmen Sie Farben, die Ihnen gerade zusagen.“
Licht. Spind. Stuhl. Tisch. Die Chance.
„Sie sind hier richtig und rechtzeitig zu uns gekommen.“
„Wie gut, dass Sie sich Hilfe geholt haben.“
Licht. Spind Nr. 11. Stuhl. Tisch. Hoffnung.
Alles wird wieder gut. Es kann nicht schlimmer werden.
Licht. Spind. Stuhl. Tisch. Tränen

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Schneeweiß

Als ich heute Morgen meinen Vater anrief, sagte er: „Wir haben weißen Schnee.“ Ich überlegte mir, warum er das so formulierte. Schnee ist doch immer weiß, oder?
Nach dem Telefonat grübelte ich darüber. Weiß, weiß, weiß. Mir fiel ein, dass Schnee grau und schmutzig sein kann, wenn die Schneeräum- und Streufahrzeuge ihn an den Rand der Straßen geschoben haben oder die Autos ihn angetaut platt fahren.
Mein Vater gehört zu der Generation der Kriegskinder, die roten Schnee gesehen haben. Blutgetränkt rot … Das vergisst man in 70 Jahren nicht. Hunger, Kälte und Tod.

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Warten auf Sonne

Ich beginne mit dem Frühstück. Ich habe Toast, Aufschnitt, Käse und Konfitüre. Aprikosengeschmack. Und schwarzen Tee. Ich werde sechs Toast schaffen. Der Tisch steht am Fenster. Ich habe die Rollladen in der Küche hoch gezogen. Es scheint mitten in der Nacht zu sein. Mein Ausschnitt zum Himmel pechschwarz. Es ist kein gewöhnlicher Sonntag, es ist der 4. Advent, fällt mir ein.
Vorher habe ich eine Weile am Schreibtisch gearbeitet. Jetzt höre ich die Haustür und einen winselnden kleinen Hund. Es muss 8 Uhr sein. Die pensionierte Nachbarin führt ihr neurotisches Vieh aus.
Ich habe Hunger und schlinge. Ich finde, der Toaster braucht zu lange, um das Brot hochschnellen zu lassen. Das ist ein gutes Zeichen. Ich habe wieder Appetit und das Essen nicht vergessen. Das war in letzter Zeit oft anders.
Ich höre Kirchenglocken und in meinem Himmelsausschnitt dämmert es langsam. Aus schwarz wird graublau mit einem Stich rosé.
In zehn Minuten ist Sonnenaufgang. Offiziell sozusagen. Und dann haben wir am längsten auf das Licht gewartet.

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