Meine erste Gitarre war ein Geschenk meiner Eltern. Eine Konzertgitarre. Also eine akustische mit Nylonsaiten. Bis heute weiß ich nicht, wo sie sie gekauft haben. Und eigentlich auch nicht, warum …
Dankbar brachte ich mir im Selbststudium Griffe und Rhythmen nach Lehrbüchern bei, die mir eine Schulfreundin empfahl. Sie hatte während eines langen Krankenhausaufenthalts das Gitarre spielen gelernt.
Wenn ich mir heute die alte Gitarre ansehe, leider unbrauchbar, kann ich kaum glauben, auf diesem „Brett“ Töne entlockt zu haben! Die Saitenlage war viel zu hoch. Das ist der Abstand der Saiten zum Griffbrett. Der Hals viel zu breit. All das machte es mir als Anfänger nicht leicht, saubere Töne zu erzeugen. Meine Greifhand wurde sehr stark, was mir bis heute zu gute kommt.
Trotzdem war ich mit viel Enthusiasmus dabei. Als man mir noch zur Schulzeit eine gute, gebrauchte E-Gitarre anbot, griff ich zu. E-Gitarren haben Stahlsaiten. Das ist ein anderes Feeling unter den Fingern. Hals und Saitenlage sind für das Spiel mit viel dünneren Saiten ganz anders ausgelegt. Also habe ich auch bei akustischen Gitarren Stahlsaiten immer geschätzt.
Dabei blieb es dann bis vor knapp drei Jahren. Bis ich mir dachte, he, ich kann mir doch noch eine Gitarre zulegen. Ab Fabrik. Es müsste ja nichts teures sein. Nur sollte sie wieder Nylonsaiten haben.
Nun habe ich wieder eine Konzertgitarre. Und sie hat eine wunderbare Saitenlage, einen passenden Hals. Wenn ich die Saiten anschlage, steht der Klang lange warm im Raum. Irgendwie ehrlich.
Schlagwort-Archive: Jahre
Zwischen Wurstbrot und Pudding
Ich muss unbedingt etwas bissiges schreiben. So wie den ganzen Nachmittag Torte probiert haben, aber zum Abendessen Schmacht auf ein Wurstbrot haben. Etwas wahres, ursprüngliches.
Ich ertrage ja auch nicht den ganzen Tag klassische Musik. Also angezogen. Wirklich mag ich Brahms Symphonie Nr. 1 in c-moll. Doch dann ziehe ich wieder Rock, Funk und Pop vor.
Verdammt viele unserer Heros sind gefallen. Warum hat noch keiner eine Verschwörungstheorie aufgestellt? Ist sehr einfach. Donald Trump brauchte keine Wahlgeschenke, er brauchte Wähler. So fand ein geheimes Treffen mit den höchsten Moralisten Amerikas statt. Dann schickte Trump seine privat finanzierten Söldner los. Eine Spezialeinheit, die alles wie einen plötzlichen, doch natürlichen Tod aussehen ließ. Oder einfach eine Überdosis. Lemmy, Bowie, Prince („Schwuler Bastard!“), Cohen … Und an Silvester stirbt Paul McCartney („Dem hilft kein Yesterday!“).
Ich meine, wenn Trump die ganze Welt außer die USA als Feind sieht, dann dürfen wir ihn doch als Welt im Umkehrschluss …
Jetzt bin ich schon bei der Politik. Davon verstehe ich nicht viel. Ich kämpfe noch mit einem Zuviel an Erinnerungen, die ich über Weihnachten abbekam. Aber man kann keinen Besuch bei der Familie machen, ohne einen freien Fall in frühere Jahre. Und speziell bei außerfamiliären Erfahrungen möchte man sofort die Reißleine ziehen.
Nun, ich ging trotzdem meinen alten Schulweg. Ich sah sofort, wo etwas abgerissen war und wo etwas neu hingebaut wurde. Doch das Schulgebäude war wie eh und je. In der Dämmerung kam ich an und zündete eine Zigarette bevor die Straßenlaternen schienen. Ich ging um die Ecke weiter, wo ich meinen damaligen Kindergarten vermutete. Ich verstand den Grundriss nicht mehr. Wie konnte ich mich vier Jahre nur darin zurechtfinden? … Weil ich in der Klasse auf meinem Arsch saß und lernte.
Und 35 Jahre später interessiert sich ein Verlag für meine „Aufsätze“ …
Wer hätte das gedacht? Ich! Was immer ich auch werden wollte, was immer ich aus mir machen wollte, wie immer ich mich auch entwickeln wollte – ich hätte es zu Hause nicht geschafft. Ich werde meine Eltern nicht verurteilen oder meine Geschwister. Aus irgendeinem Grund bin ich so gestrickt, wie ich bin, und ich wäre dort eingegangen. Etwas besonderes bin hier auch nicht, aber wie sich Glück statt Verzweiflung anfühlt, habe ich erfahren. Einige Male.
Mist. Doch kein Wurstbrot-Text. Eher Pudding.
Eingeordnet unter Bei Sem;kolon zu Hause
Zwischen einem Mann und einer Frau
Fünf Wochen sind hier Weihnachtsmärkte geöffnet. An fünf Stellen in der Innenstadt. Der große Marktplatz darf nicht besetzt werden wegen des Wochenmarkts mittwochs und samstags. Da wirken die Weihnachtsmärkte eher wie eine Notdurft. Was der Kitsch, Konsum und Krempel mit dem Christenfest zu tun hat, entzieht sich meiner Kenntnis.
Es gibt Naschwaren, Dekokram, Fahrgeschäfte für Kinder, gebratenes und gebackenes Essen bis hin zu Geschenken, Schmuck und natürlich den Glühwein.
An jeder Ecke hörst du zwei Mädchen Blockflöten quälen. Man sollte ihnen Geld geben, damit sie es lassen!
Ich war etliche Jahre nicht mehr dort, nur aus dem Busfenster geschaut, wenn sich meine Linie durch die Menschenmengen quälte. Große Ansammlungen von Menschen. Wenn man in einer Traube von Leuten steckt, und es geht nicht vor und nicht zurück. Man wird geschoben und gedrängt. Das ist mir sehr unangenehm.
Bei Regen und 13 Grad haben die Weihnachtsmärkte nun wieder geöffnet. Dieses Jahr will anscheinend jeder mit mir dort hin. Die Kollegen an Feierabend, Bekanntschaften, ja auch Freunde von außerhalb. Am liebsten aber ginge ich mit ihr.
Die erste Woche hat sie sich nicht gemeldet. Aber dann die SMS. Welch ein origineller Einfall, am nächsten Samstag zusammen über die Weihnachtsmärkte zu gehen. Ab 11 Uhr sind die Stände und Buden geöffnet. Sie möchte jedoch nach Einbruch der Dunkelheit. Wegen der Stimmung. Argumente wie, um 11 ist es noch nicht überlaufen, man sieht doch viel mehr, kontert sie mit einem gewichtigen Argument. Um 11 Uhr denke sie noch nicht mal daran aufzustehen.
Ich bin gespannt, was sie anzieht, wenn wir uns treffen. Wichtiger ist aber, was ziehe ich an? Ich brauche eine Kopfbedeckung, nicht zu dick, nicht zu leicht, denn bei Neigung zu Niederschlägen, so der Wetterbericht, kann man im Gewühl keinen Regenschirm aufspannen. Schuhe? Zur Zeit stehen zur Wahl nur gefütterte Winterstiefel oder dünne Halbschuhe. Der Rest gibt sich.
Ich stehe am Treffpunkt, Bushaltestelle gegenüber Kaufhof. Mann, ist das voll! Dabei ist der Weihnachtsmarkt hinter mir. Kinderkarussell, etwa acht Buden. Sie kommt mit dem Rad. Wie immer winke ich, bleibe stehen. Wie üblich ignoriert sie mich. Schließt das Rad ab. Schlösser sind etwas technisches. Seelenverwandt sind Frauen mit Technik nicht. Auch sie nicht.
Forschen Schrittes will sie die Straße überqueren, doch ist gezwungen, Menschenströme zuerst vorbei zu lassen. Ich drehe mir eine Zigarette. Ich überlege mir, was sie vorher erlebt hat, wenn sie ankommt, als hätte sie Wut, schlechte Laune oder Magenschmerzen. Vielleicht alles zusammen? Oder hat es was mit mir zu tun?
Mit einer finsteren Miene, die gut zu ihrem schwarzen Mantel passt, lässt sie sich umarmen. Mögen die Spiele beginnen!
Nun bin ich also wieder hier. Wir verständigen uns, was wir uns hier auf dem ersten Christmas Market ansehen wollen, und welcher der nächste sein würde. Wie ich sie kenne, würde sie relativ achtlos an den „Fressbuden“ vorbei gehen, sich dafür an Spielzeugständen und Modeaccessoires länger aufhalten. Und am längsten dauert es bei angebotenem Nippes, wie wir zu Hause sagen, oder „Staubfänger“. Dinge zum Hinstellen in der Wohnung, ohne den geringsten Nutzen. Witzig, schön, süß sind dafür die Attribute ihrer Besitzer. Ich korrigiere: Besitzerinnen.
Doch auch für so einen Ernstfall hat mein Akku für Geduld volle Kapazität. Ich erinnere mich zudem, dass irgendwo hinten immer ein Bratwurstgrill war. Bestimmt auch dieses Jahr. Man könnte das eine mit dem anderen verbinden.
Ich erzähle ihr was. Genauer, ich doziere. Erlebnisse und Erfahrungen aus einem elend langen Leben. Das kann ich, ohne dass mir je die Themen ausgehen. Ich habe ja auch nie etwas vergessen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ihr das gefällt. Sich ihre Stimmung dabei beginnt aufzuhellen. Gerade bin ich bei Zeitzeugnissen aus 1983 angelangt, lässt sie mich ausreden und erzählt etwas über sich aus den 80ern.
Der Verkehr staut sich zwischen Glühweinstand und vermeintlichen Bratwürsten. Ich stelle mich mit meiner beachtlichen Breite schützend vor sie und nehme ihre Hand, um sie nicht zu verlieren. Sie lässt es geschehen. Und ich kann fast sehen, was sie hinter meinem Rücken macht. Sie lächelt.
Eingeordnet unter Bei Sem;kolon zu Hause
Zwillinge?
Es geschah vor einigen Jahren. Ich betrat das Tonstudio für ein paar Aufnahmen für eine Radiosendung. Inzwischen mit der Technik vertraut und sie gerne bis zum Äußersten nutzend. Geradezu berühmt-berüchtigt waren meine Jingles. Für jede neue Staffel dachte ich mir was neues aus. Christine, die einzig gute Seele im ganzen Gebäudekomplex und Tontechnikerin, bekam manchmal die Krise, wenn ich Soundschnipsel von lustvoll stöhnenden Frauen, Gitarrenriffs von U2 und Geräusche von vorbeifahrenden Züge in ein Jingle packte.
Heute hatte ich aber nur Texte aufzusprechen und Musik dazwischen zu packen. Christine grinste mich voll an. Fand ich merkwürdig. Nachdem ich ihr meine Texte zum Mitlesen am Mischpult gegeben hatte, und noch etwas vom mitgebrachten Mineralwasser trinken wollte, musste sie mir etwas erzählen.
„Na, du? Da hattest du ja ganz schön einen getankt!“
Ich wusste nicht, dass sie auch rot werden konnte. Und ich wusste nicht, wovon sie sprach.
„Bevor du dich noch mehr daneben benehmen konntest, bin ich gegangen.“
„Wo war das denn?“
„Im Elephant’s Memory!“
„Der Tanzschuppen? Da war ich noch nie drin. Und außerdem trinke ich nichts.“
Alles was ich sagte, stimmte, trotzdem meinte mich Christine an einem bestimmten Abend gesehen zu haben. Volltrunken. Ich schlug vor, die Aufnahmen zu machen.
Ein paar Wochen später. Nach der Arbeit wartete ich auf den Bus. Ein paar Kinder auch. Sie schienen sich angeregt über etwas zu unterhalten. Bis schließlich ein Mädchen ausgelost wurde, sich in meine Richtung zu bewegen. Automatisch hielt ich meine Tasche fester. Aber die 8-jährige fragte nur: „Bist du Rainer, Rainer Petronitsch?“
Ich schüttelte den Kopf. Und dann machte es Klick! Im Bus wurde mir klar, dass ich hier in der Stadt jemanden herumlaufen hatte, der mein Doppelgänger ist! Der durchaus gesellig ist und auch auf jene trifft, die mit mir zu tun haben. Nur sein Verhalten liegt nicht innerhalb meiner Grundsätze. Noch ein, zwei Verwechslungen wurden mir bekannt.
Ich stand am Samstag am Domplatz. Weil Markt war, waren viele Menschen unterwegs. Ich wollte zurück nach Hause. Stand an der Haltestelle. Langsam rollte meine Linie heran. Der Busfahrer hielt und ich setzte mich in Bewegung, die mittlere Tür im Visier. Erst Aussteigen lassen, dann Einsteigen. Mit den Leuten, die den Bus verließen, auch ein Mann, meine Größe, Brille, Haare. Das war er! Mein Zwilling! Das Gesicht mit dem ebenso arroganten Ausdruck.
Ich blieb stehen. Schaute ihm nach. Schnell verschwand er im Gewühl des Markts.
Schlimm war es nicht, dass ich auf den nächsten Bus warten musste. Deprimierend war, dass er besser aussah als ich …
Eingeordnet unter Bei Sem;kolon zu Hause
Tanz im Museum
Als wir letztens in jenem Café saßen, welches noch den Charme der 1920er Jahre atmete, fiel mir etwas auf. So spät kaum Gäste. Der Kellner nervte mit seinem bodenständigen Frohsinn. Übt wohl für ein Casting für Comedians. Dafür war die Musik klasse. Ich kenne keine Frau, die sich so gut mit Sängerinnen, Sänger und Gruppen auskennt wie sie. Ja, sie weiß mehr über die neueren Sachen als ich. Wenn ihr etwas besonders gut gefiel, tanzte sie mit ihrem Oberkörper mit. Ich glaube, sie hat ihr halbes Leben auf der Tanzfläche verbracht.
Seit dem ich sie kenne, habe ich mehr Museen, Vernissagen und Ausstellungen besucht, als in den ganzen 25 Jahren seit dem ich in dieser Stadt bin. Sie hat einen nicht stillbaren Hunger nach Kunst und Kultur.
Heute erarbeiten wir uns das Museum für Lackkunst. Nicht groß. Wenn man sich erst mal daran gewöhnt hat, dass generell viele Exponate in fensterlosen Räumen stehen, ist das auch nicht mehr beklemmend.
Über die Kunst, und hier gerade über bemalte Kästchen aus dem alten China, unterhalten wir uns kaum. Vermutlich hat sie die andere Hälfte ihres Lebens in Museen verbracht … Sie betrachtet eine Kassette und wirft mir ein paar Brocken Gesprächsstoff zu. Diese gilt es aufzufangen und weiter zu spinnen. Oder einfach überraschend mit etwas Neuem zu kontern. Dabei stehe ich nie still. Ich ändere dauernd meine Position wie bei „Schiffe versenken“ für Fortgeschrittene. Geht sie zur nächsten Vitrine, reichen mir einige wenige Blicke, um das zu erfassen, was sie gerade gesehen hat.
Auf diese Weise tänzle ich ihr über drei Stockwerke hinterher. Eines Tages werde ich ihre Hand nehmen, halte ihren Rücken und wir tanzen durch offene Türen. Auch ohne Musik.
Eingeordnet unter Bei Sem;kolon zu Hause
Zusammengefasst
Inhaltsangabe zum neuen Buch:
Ein Mann in mittleren Jahren. Single. Städter. Job im Büro.
„Würde mein Leben mehr Likes als Dislikes bekommen?“
Mitten im Alltagstrott meldet sich das Schicksal und seine Existenz steht auf dem Spiel …
Eingeordnet unter Buch 4
Die Entdeckung der fremd gewordenen Stadt
Zurzeit entdecke ich vertrautes aus früheren Jahren wieder neu. Es begann mit der Immatrikulation zum Wintersemester 1991. In den ersten Jahren in dieser Stadt habe ich studiert. Man knüpfte Kontakte, saß in Hörsälen, aß in der Mensa, verliebte sich und hat auch die eine und andere Party mit gemacht. Ha! Und all das ohne Handys!
Meine Besuche im Heimatort wurden seltener, bis ich mich dort komplett abgenabelt hatte.
Und heute? Ich lebe immer noch hier. Einige Jobs haben mich weg vom Universitätsviertel geführt. Jeden Tag die gleichen Wege, um pünktlich zu sein. Oft genug Dinge tun, die man nicht ausgewählt hat.
Die Auszeit, die ich jetzt habe, bringt mich nun genau dorthin zurück, wo alles begann. Wenn ich Bilanz ziehe, dann ist nicht alles schlecht gewesen. Auch ein Schiffbruch hat einen Sinn. Es ist nicht so wichtig, wohin die Kompassnadel zeigt, wenn man nur seinem inneren Kompass Raum gibt.
Eingeordnet unter Bei Sem;kolon zu Hause, Gesundheit
Leseprobe # 5
Dies hier gehört zu meinen ersten Veröffentlichungen. Es war in einer Anthologie. Es wurden Texte von Autoren gesucht, die noch nicht bekannt waren. Ich finde es frappierend, wie ich mich immer noch darin wiederfinde. Nach all den Jahren …
(ohne Titel)
Ich liebe es, wenn die Uhren zeitlos ticken,
sich die Wirklichkeit an Wänden plattdrückt,
wie an Schaufensterscheiben,
Wänden aus meterdicker Sinnlichkeit.
So bette ich mein Haupt auf Träume,
bedecke mich mit Sanftmut,
lausche dem Plätschern der Heiterkeit.
Fliehe vor der Melancholie,
die abends von der Decke tropft.
Süß-sauer schmeckt die Einsamkeit. Nach
Trostlosigkeit bei Qualm
und schalem Bier in billigen Kneipen,
steigst du die Stufen in engen Treppenhäusern,
wo der Putz von den Wänden fällt, auf der
Suche nach irgendwo.
Eingeordnet unter Leseprobe